Das Simulationswerkzeug IYOPRO wird bereits seit sieben Jahren in der Lehre und Forschung der Uni Hamburg eingesetzt. „Vorher wurden die Modellierung und die Laufzeitanalyse weitgehend unabhängig voneinander erstellt. Das zu implementierende Simulationsmodell begann „bei Null“ und musste in Java programmiert werden. Das war aufwendig und fehleranfällig“, blickt Dr. Johannes Göbel zurück. Er ist Lehrauftragsinhaber im Fachbereich Informatik für "Modellierung und Simulation organisatorischer Systeme".
Der Simulationsexperte der Uni Hamburg hebt hervor, dass jetzt ein niedrig-schwelligeres Ausprobieren der Prozesslogik möglich geworden ist: „Mit der Software erstellen wir Simulationen, ohne programmieren zu müssen. Durch die integrierte Entwicklungsumgebung lässt sich das Simulationsmodell nur durch ein bausteinartiges Zusammensetzen von Modellkomponenten erstellen. Das ist ein nachhaltiger Trend.“ Trotzdem müsse nicht auf die Flexibilität von Programmierung verzichtet werden, wo sie ergänzend sinnvoll ist. So können auszuführende „Programmschnipsel“ und auszuwertende Funktionen in Tasks, Ereignissen und Gateways hinterlegt werden.
Simulation erstellen, ohne zu programmieren
Die Software IYOPRO liefert eine Plattform für das Geschäftsprozessmanagement. Mit ihrer Hilfe lassen sich Geschäftsprozesse übersichtlich abbilden, automatisieren und optimieren. Die ergänzende Simulationskomponente schafft eine niedrigschwellige Erweiterbarkeit zur Simulation der Geschäftsprozesse. So können Prozessalternativen auf ihre Praxistauglichkeit überprüft, Optimierungspotenziale ermittelt, Strategievergleiche erstellt, Szenarien wie Stresstests bewertet und Prozesskostenanalysen durchgeführt werden.
„Durch die Software lernen die Studenten das Konzept der Simulation und ihre Möglichkeiten auf einfache und intuitive Weise kennen. Die Simulationstechnik erlaubt es, in einer Sandkasten-Umgebung Veränderungen an einem Modell vorzunehmen“, so Johannes Göbel. Die Simulation mache transparent, wie sich z. B. interne Entscheidungen, etwa die Zahl der eingesetzten Arbeitskräfte oder von außen entstehende Schwankungen, etwa der Zahl von Kundenaufträgen, auf den Durchsatz, die Kosten und andere Kenngrößen auswirken.
Software erleichtert Lernprozesse bei Simulationen
„Die Simulationssoftware vermittelt ein Gefühl für die Zusammenhänge und Rückkoppelungen der Geschäftsprozesse. Anschließend lässt sich die Komplexität der Modelle schrittweise erhöhen, um zum Beispiel Investitionsalternativen oder strukturell unterschiedliche Prozessansätze zu vergleichen. Wir setzen in einem einzelnen Task eine andere Zeitdauer ein, weil z. B. eine neue Maschine einen bestimmten Produktionsschritt schneller erledigt bis hin zu der Möglichkeit, eine völlig andere Prozesslogik bzw. Reihenfolge der Prozessschritte zu entwerfen", beschreibt der Simulationsexperte den Lernprozess.
Das Simulationswerkzeug erleichtert nach seinen Erfahrungen das Erlernen der Grundlagen von Modellierung und simulationsbasierter Laufzeitabschätzung. Erleichtert werde das auch durch die anschauliche Visualisierung der Simulationsergebnisse.
Die Software IYOPRO wird an der Universität Hamburg auch für anspruchsvollere Simulationsstudien im Rahmen von Studienprojekten und Abschlussarbeiten verwendet. Als nützliche Funktion der Software nennt Johannes Göbel außerdem die Konformitätsprüfung. Die Software weist den Anwender bereits während der Modellierung auf fehlerhafte oder unvollständige Modellbestandteile hin. „Die frühzeitige Rückmeldung der Software bei der Modellbildung ist für die Praxis sehr relevant. So zeigt die Meldung „Timer-Startereignis ohne Hinterlegung von Startzeit/-verteilung“, dass notwendige Informationen vergessen wurden und kein Denkfehler vorliegt. Das wird umso wichtiger, je größer und komplexer die Modelle werden.“ Die Modelle könnten mit einer steigenden Anzahl an Parametern beliebig komplex werden, wenn beispielsweise in einer Fertigung Hunderte unterschiedlicher Bauteile und Prozessschritte berücksichtigt würden und gleichzeitig die Verfügbarkeit von wenigen Experten mit Know-how für diese Bauteile oder Prozessschritte berücksichtigt werden müssen.
Produktivitätssteigerung durch Geschäftsprozesssimulation
Mit dem Simulationswerkzeug von IYOPRO können risikofrei Prognosen über die Laufzeit von Prozessen angestellt werden, sowie verschiedene Prozesskonfigurationen verglichen und optimiert werden. Über die Zuordnung von Ressourcen lassen sich mögliche Engpässe identifizieren. Der Simulationsexperte nennt dafür vielfältige Anwendungsmöglichkeiten, wenn beispielsweise die Auswirkungen von Investitionen auf Kapazitäten, Materialflüsse und Platzbedarf bewertet werden sollen. Das spielt vor allem in Logistik und (Produktions-)Planung eine wichtige Rolle, um in einer Art "Sandkasten" zu experimentieren und Szenarien zu bewerten: „Entscheidungen können ausprobiert und Ihre Auswirkungen ermittelt werden, ohne ein reales System zu stören. Es kann entgangene Gewinne bzw. Kosten von Fehlinvestitionen und Unzufriedenheit von Kunden mit sich bringen, wenn sich ein geplantes System oder eine Konfiguration (z. B. Layout einer Produktionsstraße, Einstellung/Zuweisung von Mitarbeitern) als zu wenig leistungsfähig erweist. Insofern gehört die Simulation in den "Werkzeugkasten" von Entscheidungsträgern bzw. den sie beratenden Personen.“
Als typischen Einsatzbereich nennt er auch die Berechnungen für die Lagerhaltung, um die beste Balance zwischen Lieferfähigkeit und Kapitalbindung zu finden. Der Vergleich mehrerer Szenarien liefere hier eine Entscheidungsunterstützung. Die ermittelten Ergebnisse seien auch als Referenzkennzahlen für Unternehmensvergleiche in der Branche nutzbar.
Johannes Göbel verweist auf einen weiteren Effekt von Prozesssimulationen: „Um ein aussagekräftiges Simulationsmodell zu bilden, müssen Prozessdaten erhoben und eingegeben werden. Diese sind aber oft nicht dokumentiert und nur als Erfahrungswissen einzelner Experten vorhanden. Wenn diese Experten nicht verfügbar sind oder altersbedingt ausscheiden, kann das Prozess-Know-how verloren gehen. Im Zuge der Simulation werden diese Daten dann qualitativ und auch quantitativ dokumentiert.“
Vom Geschäftsprozessmodell zum Simulationsmodell
Auf die Abwägung von Kosten und Nutzen von Simulationen angesprochen, antwortet der Simulationsexperte der Uni Hamburg mit einem sinngemäßen Zitat aus „Simulation von Produktionssystemen“ (Kosturiak und Gregor, Springer, 1995): Statt zu fragen „Können wir uns die Simulationstechnik leisten?“ muss der Blickwinkel sein: „Wie lange können wir es uns leisten, auf die Simulation zu verzichten?“
Johannes Göbel schätzt an der Simulation in IYOPRO besonders, wie einfach es ist, ein Geschäftsprozessmodell in ein Simulationsmodell zu überführen: „Hauptsächlich müssen hierfür die Zeitdauern der Tasks hinterlegt sowie eventuell benötigte Ressourcen angegeben werden. Diese Anreicherung, die aus einem Prozessmodell ein Simulationsmodell macht, ist somit nahtlos und in der selben Nutzeroberfläche möglich. Der Start einer simulationsbasierten Laufzeitanalyse ist nur wenige Mausklicks entfernt.“
Dr. Johannes Göbel hat Wirtschaftsinformatik an der Universität Hamburg studiert und dort in Informatik am Lehrstuhl für Modellbildung und Simulation (Prof. Dr.-Ing. Page) promoviert. Zurzeit ist er Lehrauftragsinhaber und Studiengangskoordinator am Fachbereich Informatik an der Universität Hamburg. Neben der Simulation logistischer Systeme stehen Umweltinformatik sowie BitCoin und andere Kryptowährungen im Zentrum seines aktuellen Forschungsinteresses.